© Foto: Gerhard Zwickert
Programm Wir waren das Volk.
Alexanderplatz, 4. November 1999
4.10. bis 10.11. Transparent am Haus des Lehrers
14.00  Haus des Lehrers Der Kurze Herbst der Utopie. Ausstellungseröffnung
15.00  Alexanderplatz Denkzeichen 4. November 1989 (1): Lutz Dammbeck
16.00  Kongresshalle Skepsis bleibt die erste Bürgerpflicht
Diskussion mit Johanna Schall, Jens Reich, Lothar Bisky, Christoph Hein. Moderation: Christoph Links

17.00  Street TV Fernsehmitschnitt von 4. November 1989
bis 14. November '99 Mauerrisse. Theaterinstallationen und Aktionen
Das Bezirksamt Mitte sieht sich als kommunale Körperschaft und 'Eigentümer' des Alexanderplatzes in der besonderen Verantwortung, an das einzigartige historische Ereignis des 4. November 1989 am Ort selbst zu erinnern. Der 4. November 1989 ist als transitorischer Moment in die Geschichte eingegangen: als selbstbestimmte Artikulation demokratischer Ansprüche hunderttausender Menschen gegenüber dem Machtmonopol einer gescheiterten Staatspartei und ihrer Führungsspitze, als Hoffnung auf eine demokratisierte DDR einerseits, und andererseits als Beginn der Konstituierung einer politischen Öffentlichkeit, die angesichts ihrer Eigendynamik und der historischen Konstellationen in kürzester Zeit zum fast vollständigen Transfer des politischen, später des gesamten institutionellen, Systems der westdeutschen Bundesrepublik auf die ostdeutsche Gesellschaft führte.

Der 4. November steht für die heroische Illusion des gesellschaftlichen Umbruchs in der damaligen DDR. Zehn Jahre danach besteht die Chance, sich mit Stolz der historischen Aktion zu erinnern, sich mit rückhaltloser Offenheit von den Illusionen zu verabschieden und zugleich die uneingelösten Hoffnungen zu aktualisieren. Erst die gewonnene politische Freiheit läßt die Frage nach der Demokratisierung der Demokratie präzise stellen. Der 4. November 1989 entzieht sich linearen und/oder parteipolitisch dominierten Geschichtsdeutungen und kann daher ein Potential der andauernden selbstkritischen Befragung der heutigen bundesdeutschen Gesellschaft sein.

Die Initiative des Bezirksamtes Mitte für die untere 1. bis 4. genannten Aktivitäten wird ergänzt durch die von der Stiftung Haus der Demokratie sowie dem carrousel Theater an der Parkaue vorbereiten Projekte (5. und 6.).

1. Der Fernsehmitschnitt im Street TV Seitenanfang

Der von New Media Board München betriebene Bildschirm auf dem ehemaligen Haus der Elektroindustrie wird am 4. November 1999 in der Zeit von 17.30 und 20.40 Uhr den 190 Minuten dauernden Mitschnitt des DDR-Fernsehens der Demonstration vom 4. November 1989 zeigen, Lautsprecher werden die Reden auf den Platz übertragen. Die Bildwand auf dem Dach befindet sich nur unweit der damaligen Tribüne. Damit kehrt das Ereignis als Dokumentation auf den Platz zurück, auf einer ansonsten der Werbung dienenden Fläche und in einer gegenüber dem Street TV durchaus archaisch anmutenden Ästhetik. Die Erinnerung an die damalige Eroberung des öffentlichen Raums fragt zugleich nach der Bedeutung des öffentlichen Raums, nach dem Zusammenhang von Politik, Medien und Stadtraum heute.

Die Hochschule für Film und Fernsehen beabsichtigt, aus dem vom Rundfunkarchiv zur Verfügung gestellten Videomaterial kurze studentische Produktionen herzustellen, die aktuelle Deutungen und zeitgenössische mediale Ästhetik anstreben.

Eine mehrmals wiederholte Kurzfassung der Fernsehdokumentation wird am 4. November auf die Übertragung am Abend verweisen.
Veranstalter: Bezirksamt Mitte in Zusammenarbeit mit
New Media Board München, dem Rundfunkarchiv Berlin, der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg

2. Denkzeichen 4. November 1989 Seitenanfang

Siehe die Website zum Projekt

Das nach dem Prinzip »Kunst statt Werbung« agierende aktive Denkzeichen nutzt einen zweiseitigen Werbelichtkasten der Firma Wall und wird regelmäßig Arbeiten internationaler Künstler/innen zum Thema Demokratie und Menschenrechte zeigen, zusätzliche Informationen stellen den Zusammenhang zum 4. November 1989 her. Bei den künstlerischen Arbeiten soll es nicht allein um die historischen und politischen Querverbindungen und Parallelen der Demokratiebestrebungen in verschiedenen Teilen der Welt gehen, sondern ebenso um die individuellen Konflikte zwischen Anpassung und Widerstand, Resignation und Zivilcourage. Der Leuchtkasten soll mehrere Jahre durch die Projektgruppe Pat Binder und Gerhard Haupt betrieben werden. Die erste Arbeit wird von dem aus der DDR stammenden, heute in Hamburg lebenden Grafiker und Filmemacher Lutz Dammbeck gestaltet. Das Projekt wird parallel im Internet präsentiert und fortlaufend aktualisiert. [ http://uinic.de/alex ]

Die öffentliche Übergabe des Denkzeichens ist für 15 Uhr geplant.
Veranstalter: Im Auftrage des Bezirksamtes Mitte von Berlin
Projektgruppe Denkzeichen 4. November 1989:
Pat Binder und Dr. Gerhard Haupt
mit freundlicher Unterstützung von Groth + Graalfs und der Wall AG

3. Skepsis bleibt die erste Bürgerpflicht Seitenanfang

Gesprächsrunde mit Redner/innen der Demonstration vom 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz: Johanna Schall, Jens Reich, Lothar Bisky, Christoph Hein.
Kongreßhalle am Alexanderplatz, 16 bis 18 Uhr, Moderation: Christoph Links.
Dabei soll nach den Motiven der damals Beteiligten gefragt werden, die Umstände der Aktion beleuchtet und deren Wirkungen erörtert werden.
Veranstalter: Bezirksamt Mitte in Zusammenarbeit mit dem Christoph Links Verlag

© Foto: Gerhard Zwickert © Foto: Gerhard Zwickert
4. Wir waren das Volk. Alexanderplatz 4. November 1989 Seitenanfang

In der Zeit zwischen 4. Oktober und 10. November 1999 wird am Haus des Lehrers ein Transparent angebracht, das stadtbildprägend an das Ereignis der Demonstration vor zehn Jahren erinnert.

Der Spruch »Wir waren das Volk« setzt den legendären Text »Wir sind das Volk« in die Vergangenheitsform. Damit sind mehrdeutige Konnotationen möglich: Stolz auf die historische Aktion, Melancholie über uneingelöste Hoffnungen und Vergewisserung des gewonnenen historischen Abstandes. Heute artikulieren sich demokratische Ansprüche nicht zuerst in einem gegen eine uneinsichtige politische Klasse gesetzten Volksbegriff. Der Text ist daher auch lesbar: »Wir waren das Volk, heute sind wir mündige Bürger/innen«. Andererseits bleibt der zivile Widerstand der Bevölkerung eine unberechenbare und sich von Zeit zu Zeit erneuernde geschichtsbildende Kraft. In dieser Mehrdeutigkeit soll der Text auf das historische Ereignis verweisen, Anlaß und Stoff zum Nachdenken am Ort des damaligen Geschehens bieten.
Veranstalter: Bezirksamt Mitte von Berlin
mit freundlicher Unterstützung der Bundesstiftung Rosa Luxemburg
5. Der kurze Herbst der Utopie - Berlin 1989/90 Seitenanfang

Kerzen, Demos, Mauerfall - Bilder, die uns in diesem Herbst allerorten begegnen. War das alles? Oder war da noch was?

Die Ausstellung wurde gestaltet und konzipiert von Menschen und Gruppen, die 1989 engagiert und streitbar Geschichte (mit-)gemacht haben. Thematische Schwerpunkte: Geschichte der oppositionellen Gruppen, die außen- und deutschlandpolitischen Rahmenbedingungen und das Verhältnis zur Ausreisebewegung, die Entwicklung der Demonstrationen und die Haltungen zur SED und zu den Staatsapparaten. Zum Teil bisher unveröffentlichte Originaldokumente, überraschende Photos und authentische historische Arbeitsmittel der Opposition eröffnen dem Besucher Wege zur eigenständigen Urteilsbildung über die 'Wende'.

Die Ausstellung wird am 4. November 1999 um 14 Uhr im Foyer des Hauses des Lehrers eröffnet und ist dort bis zum 14. November 1999 täglich in der Zeit zwischen 12 und 19 Uhr zu sehen.

Die Ausstellung wird im Anschluß an die Präsentation im Haus des Lehrers im Haus der Demokratie und Menschenrechte in der Greifswalder Straße 4 vom 16. November bis 20. Dezember 1999 mittwochs bis sonntags in der Zeit zwischen 11 und 18 Uhr gezeigt.
Veranstalter: Haus der Demokratie mit Unterstützung der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

6. Mauerrisse Seitenanfang

Theaterinstallationen und Aktionen anläßlich '10 Jahre Mauerfall'.

Zwischen dem 4. und 14. November 1999 wird der Alexanderplatz in eine Aktionsbühne verwandelt. Ein Schwerpunkt liegt auf der Interaktion mit dem Publikum, also den zufälligen Passanten des Platzes. Sie können für kurze Zeit eintauchen in die Vergangenheit und sich mit dem Mauerfall und seinen Folgen konfrontieren. Somit wird das spontane Geschehen und der subjektive Eindruck des Einzelnen zum Charakteristikum der »Mauerrisse«, das Publikum wird zum Akteur. Folgende Aktionen sind geplant: jugendliche 'Reporter' interviewen die Passanten, Plakate werden über den Platz getragen, Puppen und Pappfiguren skizzieren den damaligen Menschenauflauf, ein 'Runder Tisch' wird aufgestellt und zerfällt innerhalb des Veranstaltungszeitraums wieder, ein Bauwagen steht auf dem Platz, in dem ein 'DDR-Bürger' wohnt, der das Geschehen kommentiert.
Veranstalter: carrousel Theater an der Parkaue
in Koproduktion mit der Berliner Festspiele GmbH

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© Pressetext des Bezirksamtes Mitte von Berlin
Dr. Thomas Flierl, Bezirksstadtrat für Ökologische Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen

Fotos: Gerhard Zwickert

Website: uinic, Kunst- und Webprojekte, Pat Binder und Gerhard Haupt